Foto: Katze schaut sich den Wahnsinn des Aktenvernichtens an

Wie sich Digitalisierung am Neujahrstag anfühlt

Wenn ich täglich Presseinformationen, Fachartikel, Newsletter und Ähnliches zum Thema Digitalisierung verfasse, ist immer von Vorteilen die Rede, davon, dass Unternehmen lästiges Suchen in den Akten vermeiden und Platz sparen können. Was das jedoch wirklich bedeutet, davon habe ich heute am Neujahrstag wieder einen Eindruck bekommen – beim Schreddern von Papierbelegen aus dem Jahre 2007.


Denn mit dem Neujahrstag 2018 durften die Belege, die ich im Zusammenhang mit meiner freiberuflichen Arbeit als Journalist im Jahre 2007 angehäuft habe, vernichtet werden. In Kenntnis dieser Frist hatte ich mir am 28. Dezember 2017 einen neuen Aktenvernichter gekauft. Eine ganze Zeit lang stand ich ratlos vor dem Angebot im Elektronikfachmarkt. Es gab große Schredder und kleine. Alle erschienen mir zu teuer, gemessen daran, dass ich damit nur Müll vernichten wollte beziehungsweise musste und anderenorts Menschen verhungern, weil sie keine zwei oder drei Euro am Tag haben, um Essen zu kaufen. Meine widerwillige Wahl fiel schließlich auf ein Exemplar mittlerer Größe, das einen geschlossenen Sammelbehälter aus Plastik hatte und den Kreuzschnitt beherrschte. Er kostete mich 49,99 €.

Analoge Ruhestörung

Zu Hause angekommen, lagerte ich das Gerät im Keller zwischen, neben dem großen Umzugskarton, der die Aktenordner mit den Unterlagen beinhaltet, die ich wegen des deutschen Steuerrechts zehn Jahre lang aufbewahren muss. Heute Nachmittag, es war, vielleicht aufgrund der Feierlichkeiten gestern, beschaulich ruhig, beschloss ich, mich ans Werk zu machen. Ich hole den betreffenden Ordner sowie den Aktenvernichter aus dem Keller und richte mich einigermaßen gemütlich, aber demütig ein – auf dem Fußboden neben der Steckdose am Tannenbaum. Ich nehme die Belege, die ich 2007 sorgfältig sortiert, abgerechnet und abgeheftet hatte, aus dem Ordner und entferne Büroklammern. Sie hatten bereits Rost angesetzt. Dann geht es los.

Ich nehme die ersten vier Blätter, halte sie an den Schlitz. Mit dem Geräuschpegel eines startenden Düsenjets, so scheint es, setzt sich der Motor des Aktenvernichters in Betrieb. Gierig zieht er sie ein. Meine beiden Katzen, die mein Treiben bis dahin neugierig beobachtet hatten, schauen entsetzt auf das Gerät und flitzen aus dem Wohnzimmer. Nein, so kann das nicht weitergehen! Also sortiere ich die Blätter, die keine kritischen Daten beinhalten, aus, um sie ungeschreddert in die Altpapiertonne zu werfen. Blätter, die nur halb bedruckt sind, zerreiße ich, sodass ich die leeren Teile nicht schreddern brauche. So kann ich Zeit und Krach sparen.

Schwere Lebensabschnittsbegleiter

Zwei- oder dreimal schütte ich den Inhalt des Auffangbehälters in einen gelben Sack, damit ich die Schnipsel  nachher zum Altpapiercontainer tragen kann. Dabei rechne ich damit, dass es jederzeit an der Tür klingelt und ein genervter Nachbar sich beschwert. Ich frage mich, ob es besser gewesen wäre, wenn ich meine Aktion ein paar Stunden früher, um Mitternacht, gestartet hätte, als alle böllerten.

Dann streikt der Aktenvernichter. Der Motor ist heiß. Er braucht eine Pause. Die nutze ich, um die Kontoauszüge aus dem Jahr 2007 herauszusuchen. In der Zwischenzeit gesellen sich meine beiden Stubentiger wieder zu mir und erkunden die Szenerie.

Auch als ich das Gerät wieder anwerfe, bleiben sie eine Zeit lang bei mir. Sie schauen zu, wie ich Blätter um Blätter in den Schlitz stecke. Hin und wieder schaue ich mir die Zettel an: Damals wohnte ich noch in Perleberg. Das bedeutet: Mit diesen Belegen bin ich sechs Mal umgezogen. Sie sind von Perleberg nach Lübeck, von dort über Kiel, Bad Schwartau und Ahrensburg wieder nach Bad Schwartau gereist. Sie wurden von ich weiß nicht wie vielen verschiedenen Menschen geschleppt – von einem Ort zum anderen, um sie nie wieder anzusehen und jetzt geschreddert zu werden. Ist das Wehmut?

 

Dankbarkeit für digitale Dokumente

Ich denke daran, wie viel Kraft das gekostet hat – und wie viel Zeit, für die Umzüge sowie die Buchhaltung an sich. Wertvolle Lebenszeit, die nun in weiterer Zeit kleingehäckselt wird. Die letzte Zwangspause zieht sich in die Länge. Der Motor des Schredders kühlt nicht ab. In der Zwischenzeit habe ich schon ein Stück übrig gebliebenen Stollen vertilgt. Da kommt mir die Idee, das Gerät zum Abkühlen auf den Balkon zu stellen. Es ist frisch, windig und regnet ausnahmsweise nicht. Vielleicht kann ich dann schneller weiterarbeiten.

Tatsächlich ist der Motor innerhalb weniger Minuten erkaltet und der Wahnsinn kann zu Ende gehen: Auch die letzten Blätter verschwinden unter ohrenbetäubendem Getöse im Schlitz. Ich bin erleichtert: Die Maschine ist nicht zusammengebrochen und es hat sich keiner der Nachbarn beschwert. Noch ein Gang zum Papiercontainer und in den Keller, um den Aktenvernichter wieder zu verstauen, die letzten Schnipsel mit Handfeger und Kehrblech zusammenfegen, dann ist es nach eineinhalb Stunden vollbracht: Die Buchhaltungsbelege von 2007 sind Geschichte für mich. Zurück bleibt nur der Geruch von Papier – und Dankbarkeit für die Errungenschaften der Digitalisierung, die ich heute zu schätzen weiß.