Storytelling angesichts von Formatvielfalt
Tools für Storytelling boomen. Ob in Social Media, Journalismus oder E-Commerce – an den unterschiedlichsten Stellen erhalten Unternehmen Aufforderungen, sie zu verwenden, um Kunden einfach mehr über sich zu erzählen und Inhalte spannend aufzubereiten. Doch so leicht wie angepriesen ist diese Angelegenheit nicht.
Multimediales Storytelling ist komplex. Es gilt, die jeweilige Geschichte passend zu erzählen. Dazu müssen aus Texten, Tonmaterial, Videos, Social Media und Augmented Reality die geeigneten Mittel ausgewählt, harmonisch und aussagekräftig miteinander kombiniert werden. Wie das aussehen kann, demonstrierte die New York Times 2012. Ihr Multimedia-Feature „Snow Fall“ erzählt mithilfe von Texten, interaktiven Grafiken, animierten Simulationen sowie Luftaufnahmen die Geschichte der Lawine am Tunnel Creek, die 16 Ski- und Snowboardfahrer in den Abgrund riss. Sie wurde zu einem der meistdiskutierten Online-Nachrichtenartikel und galt als ein großes Vorbild im Storytelling.
Der Aufstieg von „Storys“
2013 veröffentlichte Snapchat „Storys“. Dabei setzt sich jede „Geschichte“ aus einer Ansammlung von Snaps zusammen, die ein Freund während der vergangenen 24 Stunden in seine Story gepostet hat. Dieses Format ist heute eine der erfolgreichsten Social-Media-Funktionen, wie Michael Kroker in seinem Blog der WirtschaftsWoche berichtet. 2016 folgte der Launch des Story-Formats bei Instagram, 2017 bei WhatsApp und Facebook, gefolgt von Medium, Skype sowie YouTube Reels.
Parallel dazu breiteten sich Tools für multimediales Storytelling auch auf anderen Ebenen aus. Ein Beispiel ist Pageflow – eine Open-Source-Software und Publishing-Plattform für Multimedia Storytelling, die für den digitalen Journalismus entwickelt wurde. Pageflow ermöglicht eigenen Angaben zufolge „die einfache Erstellung bildschirmfüllender Web-Reportagen. Texte, Fotos, Video- und Audiodateien können mit interaktiven Elementen, wie Infografiken, 360° Videos, Hotspots und variablen Storylines zu komplexen Erzählungen arrangiert werden.“
Andere Belege für die Formenvielfalt stellen Augmented-Reality-Apps dar. Sie geben Lesern von Zeitungen per Scan bestimmter Inhalte Einblicke in die damit verbundene digitale Welt geben. Dabei kann es sich unter anderem um ein Video handeln, das den Bericht über ein Fußballspiel ergänzt, oder um ein Anmeldeformular, das die Ankündigung einer Veranstaltung erweitert. Instantmagazine, die Unternehmen auf ihren Websites ausrollen können, werben mit Features fürs Storytelling und sogar Anbieter von E-Commerce-Software wie Shopware.
Viel nützt nicht automatisch viel
Doch mehr Tools bedeuten nicht automatisch den großen Durchbruch im Storytelling. Das zeigen Tests wie der von Immo W. Fietz zum Einsatz des Storytelling-Features von Shopware. Sein Ergebnis lässt sich mit folgender Aussage grob zusammenfassen: „In der Praxis kommt da bei den Live-Lösungen, die wir bisher gesehen haben, nur Murx heraus, weil die Shopbetreiber und Agenturen alle Regeln der Nutzbarkeit, der technischen Optimierung, des richtigen Aufbaus von Content Marketing und der Suchmaschinenoptimierung missachten.“ Fehlende Optimierung für mobile Geräte, schlechte Usability sowie schlechtes Ranking solcher Websites sind an der Tagesordnung.
Dies verwundert auch nicht. Denn nicht zu jedem Inhalt existiert ein gutes Video, ein einzigartiges und qualitativ hochwertiges Foto oder gar eine komplette Bilderstrecke im Unternehmen. Formate von der Stange fordern diese jedoch, sodass Unternehmen dann auf schlechte Bilder oder schnelle und vorgefertigte Angebote wie Stockbilder zurückgreifen. In dem Fall sind Inhalte, die sich kaum voneinander unterscheiden, das beste Ergebnis. Von Einzigartigkeit, die aus der Masse heraussticht, fehlt jede Spur.
Doch selbst wenn einzigartige hochwertige multimediale Inhalte vorhanden sind oder kreiert werden, haben aufwendige Formate Nachteile. Einer davon ist die Arbeitsintensität. Derek Thompson erläuterte in „The Atlantic“, dass „Snow Fall“ ein 16 Menschen umfassendes Team sechs Monate lang beanspruchte. Schon deshalb könne es nicht die Zukunft des Journalismus sein und müsse dies auch nicht. Darüber hinaus fordern solche anspruchsvollen Features ihr Publikum ziemlich heraus, wie Kai Schächtele feststellt. „Will man sich dem Stück mit der gebotenen Aufmerksamkeit widmen, muss man dabei die Zeit investieren, die man auch für einen guten Dokumentarfilm braucht. Wer kann und will sich die nehmen, tagsüber im Büro, abends mit dem Laptop auf den Oberschenkeln?“
Oft ist weniger mehr
Deshalb ist es kontraproduktiv, die Zielgruppe mit einem Zuviel zu überfordern. Sie erwartet und möchte längst nicht jede Finesse, nur weil sie technisch möglich ist. Oft reicht es aus, Kunden und Interessenten auf der Website, per E-Mail oder soziale Netzwerke über für sie relevante Sachverhalte kurz und aussagekräftig zu informieren. Antwortet das Unternehmen außerdem auf Anfragen unterstützend, ergibt dies im großen Ganzen eine überzeugendere Geschichte als die Verwendung von als hipp geltenden Tools. Deren Vielfalt überblickt ohnehin kaum jemand und meist passen sie weder zum Unternehmen noch zum Produkt oder zur Dienstleistung, geschweige denn zur Zielgruppe.